Stiftungen sind viel mehr als ein steuerbegünstigtes Konstrukt – sie sind ein Stück gesellschaftliche Infrastruktur. Doch während Milliardenbeträge intergenerationell verwaltet werden, steht der Stiftungssektor unter Druck: Sichtbarkeit, Legitimation, Professionalisierung. Tobias Karow – Gründer von stiftungsmarktplatz.eu, Veranstalter von #sokoms (18.11. – 19.11.2025, Leipzig), #vtfds und langjähriger Beobachter der Stiftungslandschaft – spricht mit Markus Hill von FINANZPLATZ-FRANKFURT-MAIN.DE im Interview über das, was viele nur hinter vorgehaltener Hand diskutieren: Brauchen wir Stiftungen überhaupt noch? Und: Warum reden wir über „Zombiestiftungen“?
Karow plädiert für mehr Mut und ein neues Selbstverständnis. Sein Credo: Stiftungen müssen ihr „Gelingen“ sichtbar machen. Kommunikation ist kein Nebenthema, sondern die Brücke zwischen Wirkung und Wahrnehmung. Digitalisierung, KI, Storytelling – das sind Werkzeuge, um Relevanz zu schaffen. Gleichzeitig fordert er: Stiftungsvermögen muss professioneller gemanagt werden. Hier können Family Offices als Vorbild dienen: bessere Asset Allocation, klarere Ziele, strategischere Auswahl von Asset Managern.
Hill: Welche Themen stehen Ihrer Ansicht nach bei Stiftungen aktuell oben auf der Agenda?
Karow: Also was ich derzeit beobachte, und was mich auch anfasst, ist sicherlich, dass der Stiftungssektor, „mein Sektor“, sich mit harten Fragen seine Existenz betreffend auseinandersetzen muss. Brauchen wir Stiftungen eigentlich? Reden wir von einem Stiftungssektor oder einem Stiftungssumpf? Sprechen wir bei einer großen Zahl von Stiftungen von „Zombiestiftungen“? Abgesehen davon, dass Deutschland seine Erfolgsbranchen nur zu gerne zerbröselt sieht, siehe Banken-, Energie- und Automobilsektor, ist dies letztlich ein Angriff auf unser Gemeinwesen an sich, denn Stiftungen gehören zur DNA des deutschen Gemeinwesens wie die schlechte Laune zum deutschen Frühstückstisch. Was ich verstehe ich, dass aus der geringen Aktivität mancher und der geringen Sichtbarkeit vieler Stiftungen abgeleitet wird, wir alle würden dem Stiftungssektor das Steuerprivileg umsonst vergeben, würden dafür nichts zurückbekommen. Und auch die Diskussion um effektiveres Geben speziell aus der Erbengenration kann ich nachvollziehen, was ich jedoch nicht verstehe ist, dass der Stiftungssektor mit einigen Ausnahmen weitestgehend schweigt. Genau da müssen wir ansetzen, wir müssen das Gelingen der Stiftungen und auch der Vereine sichtbar machen.

Hill: Stiftungen & Kommunikation, Sokoms im November in Leipzig – welcher Gedanke steckt hinter der Veranstaltung?
Karow: Wir möchten das kommunikative Gelingen voranbringen, dass eben jenes tagtägliche Gelingen von Stiftungen und Vereinen zeigt. Der Sektor muss inspiriert und informiert werden, es braucht den lebendigen Austausch rund um Stiftungskommunikation, digitale Werkzeuge für die Stiftungspraxis und KI, es muss sich hier Vieles in Stiftungen und im Sektor verändern- Daher gehen wir mit #sokoms25 auch nach Leipzig, meine Geburtsstadt, die nicht zuletzt ob der Geschehnisse im Herbst 1989 als Stadt für Veränderung steht. Stiftungskommunikation muss aus dem Regal auf den Schreibtisch der Stiftungsverantwortlichen, wenn jede Stiftung mehr über sich erzählt, ihr Gelingen in tolle Geschichten verpackt, dann wird der Sektor im öffentlichen Diskurs sichtbar, damit relevanter und niemand stellte dann noch die Frage nach der Legitimation. Aber das ist ein Schwungrad, das wir auch mit unserem #sokoms25 Festival in Bewegung bringen möchten.
Hill: Welche Themen halten Sie an den beiden Tagen für besonders wichtig?
Karow: Einmal natürlich Basishandwerk, was braucht es, um eine Geschichte toll lebendig und auf der Höhe der Zeit zu erzählen und zu verbreiten. Einem Redakteur heute einen handschriftlichen Brief zu schicken, mit der Bitte daraus einen Artikel zu machen, mit dem Hinweis, man sei verreist und könne keine weiteren Fragen beantworten, das funktioniert sicherlich von heute an nie mehr. Dabei haben Stiftungen und Vereine diese tollen Geschichten, eben jene Geschichten des Gelingens, welcher Sektor kann da schon so in die Vollen gehen. Das Thema KI in der Stiftungspraxis wird uns befassen, was ist es, was kann es, was muss ich damit ich es sauber einsetze, das werden die Kernfragen sein. Aber auch digitale Charaktere werden wir thematisieren, mit Inken Paland werden wir hier die Möglichkeiten diskutieren, denn diese sind bereits heute mannigfaltig. Aber auch Themen wie digitales Personalmanagement und digitaler Datenhaushalt einer Stiftung treiben uns um, eben der digitale Werkzeugkasten, den sich jede Stiftung, ob groß oder klein, zu Nutze machen kann. Da gibt es heute so viel, was Prozesse vereinfachen und damit verbessern kann, und Stiftungen würden hier in unseren Augen überproportional profitieren, so sie diese einsetzten.
Hill: Wie sieht generell die Bedeutung der Digitalisierung in der Stiftungspraxis aus?
Karow: Naja, digitale Stiftungspraxis beginnt heute und malt die Stiftungszukunft bunt aus. Heute wird eine Stiftung digital, morgen bleibt sie dafür bunt im Sinne von handlungsfähig. Für uns sind die 20er Jahre jetzt Jahre der Veränderung für den Sektor, Stiftungen werden nach 25 Jahren gemütlichen Booms, erstmals von innen UND außen herausgefordert. Ich finde das gut, die Frage ist, was der Sektor draus macht. Auf Veränderung kannst Du als Wagenburg reagieren, oder mit offenem Visier. Zwischen diesen Polen wird es sich entscheiden, der anstehende Generationswechsel in vielen Stiftung, die in den Sektor in den kommenden 15 Jahren einströmende Erbmasse und die Verschiebung der Vermögensstruktur des deutschen Stiftungssektor durch Fusionsdruck bei kleinen und Kleinststiftungen lassen mich vermuten, wie es am Ende ausgeht. Entscheidend ist, dass Stiftungen am Ende dieser Phase mit ihrem relevanten Gelingen ein vitaler Teil unseres Gemeinwesens sind, dass man ihre Aura und ihr Gewicht in unserer Gesellschaft spürt – und dass sich Fragen nach ihrer Existenz damit erübrigt haben. Und natürlich werden wir über unsere Umfrage „StiftungenDigital“ berichten sowie den #sokoms25 Award für vorbildhafte Stiftungskommunikation vergeben, Kathrin Succow und Birgit Hubner sind hier schon in den Startlöchern.
Hill: Welche Themen stehen bei Ihnen in 2026 auf der Agenda?
Karow: Neben #sokoms26, das wir am 3ten und 4ten November erneut ausrichten werden, steht mit dem #vtfds26 das zweite Festival am 16ten und 17ten Juni ante portas. Stiftungsvermögen machen viele Stiftungsverantwortliche nicht so gerne, das macht häufig irgendjemand einfach mit, aber was Du vorne nicht verdienst, kann du hinten nicht ausgeben. Das Stiftungen mitgegebene Vermögen muss gemanagt werden, es muss als Pool der Möglichkeiten für die Ausgabenseite gesehen werden. Beim #vtfds26 werden wir ebenfalls in Leipzig drüber sprechen, warum Stiftungsvermögen in vielen Stiftungen „anders muss“, was es braucht damit das passiert. Der #vtfds26 (www.vtfds.de) entwickelt sich vom TV-Format zum Festival, das freut uns natürlich sehr, aber es ist auch die Zeit, Stiftungsvermögen breit, also mit vielen Stiftungen, zu diskutieren und darüber eine Grundlage für alle Stiftungen zu schaffen, auf der dann Stiftungsvermögen besser gemanagt werden kann. Deutsche Stiftungen hinken nicht nur in der digitalen Welt hinterher, sondern auch in der Ambitioniertheit das Stiftungsvermögen betreffend. Genau da müssen wir ran. Auch gehen wir unseren StiftungsApéros wieder in die Fläche, ermöglichen Stiftungsnetzwerkerei vor Ort, das macht uns einfach Freude, ganz nah am Puls der Zeit und der Herausforderungen im Stiftungssektor zu sein. Ende des ersten Quartals erscheint auch wieder unser Handbuch „Mein Stiftungsexperte“, dann bereits in der dritten Ausgabe, wir feilen gerade noch am redaktionellen Konzept, da wird es eine Nuance Neues geben. Volle Kapelle also.
Hill: An dieser Stelle einmal etwas weiter ausgeholt, aufgrund der persönlichen „Befangenheit“ nehme ich mir hier einmal die Freiheit. Der vtfds ist mir gut bekannt, ich hatte ja netterweise dort einmal zum Thema „Was können Stiftungen von Family Offices lernen“ die Ergebnisse einer kleinen Umfrage erläutert, beim StiftungsApéro in Frankfurt habe ich einmal die Geschichte des LinkedIn-Kanals (Webseite) „Finanzplatzplatz Frankfurt am Main“ darstellt – vielen Dank nochmals für diese Gelegenheiten zum Gedankenaustausch. Wie sehen Sie aktuell die Bedeutung von Family Offices für Stiftungen im Bereich der Vermögensanlage und wie wählen Sie eigentlich Themen für die StiftungsApéros aus?
Karow: Family Offices können für Stiftungen vorbildhaft sein, wenn sie eine Asset Allocation entwickeln oder die Asset Manager Selection betreiben. Stiftungen wiederum können für Familiy Office vorbildhaft sein mit ihrem Wofür. Family Offices dienen den Interessen einer Familie oder weniger Familien, Stiftungen dienen der Allgemeinheit, müssen qua Zweck das Gemeinwesen voranbringen. Wenn Vermögen kritischer gesehen werden, kann eine Wofür-Aufwertung von Familienvermögen eine notwendige Entwicklung sein, daher plädiere ich für eine sehr viel engere Verzahnung dieser beiden Sphären, deren Klammer ja ein Vermögensstock ist, den es intergenerationell zu bewirtschaften gilt.
Hill: Viele gute Gespräche in Leipzig. Ich freue mich auf unseren nächsten Gedankenaustausch in Frankfurt in 2025.
INFORMATIION „Stiftungen, Kommunikation & Vermögensmanagement“:
Dialog & Information:
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Foto: PIXABAY & FINANZPLATZ FRANKFURT


