FINANZPLATZ FRANKFURT & FINANZPLATZ DEUTSCHLAND: Neue Impulse durch Fin.Connect.NRW, Ökosysteme, Knowhow, Sustainable Finance, Germany Finance & “Katzensprung” (INTERVIEW – Heinz-Joachim Plessentin)

„Finanzplatz Nordrhein-Westfalen“, Finanzplatz Frankfurt, Wirtschaft, Innovation, Germany Finance & Kooperation der Finanzplätze – Markus Hill sprach für FINANZPLATZ-FRANKFURT-MAIN.DE über diese Themen mit Heinz-Joachim Plessentin, ehemals Koordinator von Fin.Connect.NRW im Wirtschaftsministerium von NRW. Weitere Bestandteile der Diskussion waren zusätzlich die Bereiche Venture Capital, ESG, Transformation sowie die Inhalte der Studie „Der Finanzplatz Deutschland als Eckpfeiler des europäischen Finanzsystems“.

Hill: Fin.Connect.NRW hat über die Landesgrenzen hinaus Aufmerksamkeit gefunden. Im Vergleich zu anderen Finanzplätzen wie Frankfurt ist die Finanzplatzinitiative noch relativ jung. Was sind die Besonderheiten, was ist das Alleinstellungsmerkmal von Fin.Connect.NRW?


Plessentin: In der Tat sind die Strukturen in Nordrhein-Westfalen besonders. Das Land ist eher dezentral organisiert mit mehreren Oberzentren wie Düsseldorf, Köln und Münster. Nordrhein-Westfalen ist nach Frankfurt der zweitgrößte deutsche Bankenplatz mit dem Schwerpunkt Düsseldorf. Köln ist neben München der stärkste Versicherungsstandort. Das Land ist ein bedeutender Industrie-, Mittelstands- und Wissenschaftsstandort. Entsprechend ist Fin.Connect.NRW keine städtische, sondern eine übergreifende Landesinitiative, die alle Akteure zusammenführt. Fin.Connect.NRW ist die Finanzplatzinitiative mit dem Fokus auf nachhaltige, klimaneutrale und digitale Transformation und deren Finanzierung. Außerdem haben wir die klassischen Finanzplatzthemen auf der Agenda: Standortmarketing, Human Resources, Innovation & Fintechs. So ist beispielsweise das InsurLab Germany in Köln die größte Brancheninitiative zur Förderung von Digitalisierung und Innovation in der Versicherungswirtschaft.

Heinz-Joachim Plessentin, Fin.Connect.NRW & Markus Hill


Hill: Für eine Finanzplatzinitiative sind das Ökosystem und die Vernetzung entscheidend. Vernetzung basiert im Wesentlichen auf Kontakten in die Finanzwirtschaft und die Wirtschaftsbranchen, persönlichem Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung. Wer ist als Kooperationspartner bei Fin.Connect.NRW mit an Bord?

Plessentin: Mit Fin.Connect.NRW wird das Finanzökosystem NRW weiter ausgebaut, gerade angesichts der großen wirtschaftlichen Herausforderung der Transformation. Die Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit eines Finanzplatzes und von Sustainable Finance im weiteren Sinne hängt maßgeblich von der Leistungsfähigkeit des Ökosystems ab. Wir „spannen den Bogen“ von der Wissenschaft über die Finanzwirtschaft zur „Realwirtschaft“. Die Realwirtschaft wird durch die IHK NRW vertreten, ebenso sind die kreditwirtschaftlichen Verbände und die Hauptverwaltung in NRW der Deutschen Bundesbank Gründungsmitglieder. Darüber hinaus sind neben der Versicherungswirtschaft die Börse, Private-Equity-Gesellschaften, die NRW.BANK, das Zentrum für Innovation und Technik in Nordrhein-Westfalen, kurz ZENIT, das Institut der deutschen Wirtschaft und das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln, Bank- und Wirtschaftsprofessoren sowie Beratungsunternehmen wie BCG und zeb Teil der Initiative.


Hill: Das ist beeindruckend. Wer koordiniert die Initiative?


Plessentin: Wir verstehen Vielfalt als Stärke. Fin.Connect.NRW kommt vor allem über die Themen. Die Strukturen entwickeln sich noch. Derzeit liegt die Koordination beim Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, konkret bei meinem Kollegen Dr. Dirk Schlotböller und insbesondere bei mir. Entsprechend dem Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen (Koalitionsvertrag) wird Fin.Connect.NRW gestärkt. Der Landtag NRW hat am 14. Juni 2023 die Stärkung der Finanzplatzinitiative Fin.Connect.NRW beschlossen. Konkret hat der Landtag die Landesregierung beauftragt, die Finanzplatzinitiative Fin.Connect.NRW und die Vernetzung zwischen Stakeholdern wie Betrieben, der Kreditwirtschaft, Versicherungen sowie weiteren Akteuren zu stärken. Auf dieser Plattform sollen die Akteure passgenaue Finanzierungsinstrumente für eine syndizierte Finanzierung mit mehreren Kreditgebern anbieten und Partnerinnen und Partnern vermitteln können. Eine umfassende Informationskampagne soll entwickelt werden, um die Bekanntheit von Fin.Connect.NRW bei den relevanten Zielgruppen zu erhöhen. Auch das vom Kabinett beschlossene erste NRW-Klimaschutzpaket beinhaltet die Stärkung von Fin.Connect.NRW durch die Vergabe einer Geschäftsstelle, die am 1. November 2023 ihre Arbeit aufnimmt.


Hill: Ich bitte um nähere Erläuterungen zu den konzeptionellen Eckpunkten. Ist Vielfalt eine Stärke des Finanzplatzes?

Plessentin: Ja, davon sind wir überzeugt. Eine Studie von Germany Finance und zeb (Studie „Der Finanzplatz Deutschland als Eckpfeiler des europäischen Finanzsystems“, in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen der Universität Hohenheim, Prof. Burghof, an der ich mitgewirkt habe) belegt die Vielfalt als Vorteil und Stärke des Finanzsystems: Der deutsche Finanzplatz passt hervorragend zur dezentralen, mittelständischen Wirtschaftsstruktur und zum deutschen Föderalismus. Die Strukturen der Wirtschaft und des Bankensektors sind sehr ähnlich. Unser Finanzplatz besteht aus mehreren führenden regionalen Finanzplätzen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Dies entspricht der bekannten Struktur der deutschen Realwirtschaft, die vielfältig, wachstumsstark, international und stabil ist. Neue Herausforderungen müssen gemeistert werden. Eine diversifizierte Wirtschaft hat dafür gute Chancen. Die nachhaltige Transformation der Wirtschaft – der Megatrend des 21. Jahrhunderts – und ihre Finanzierung erfordern einen Aufbruch und massive Innovationen, Investitionen und Finanzmittel. Zur Erläuterung: Fin.Connect.NRW ist neben Frankfurt Main Finance, Finanzplatz Hamburg, Stuttgart Financial und Finanzplatz München Initiative (mit Beobachterstatus) Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Germany Finance; Berlin Finance Initiative kam hinzu. Die beteiligten Organisationen haben damit eine gemeinsame Plattform initiiert, um den kontinuierlichen Austausch untereinander weiter zu fördern und eine zentrale Anlaufstelle für am Finanzplatz Deutschland Interessierte aus dem In- und Ausland zu bieten.

Hill: Wie funktioniert die Zusammenarbeit bei Germany Finance? Ich frage das auch vor dem Hintergrund, dass ich Frankfurt sehr gut kenne und schätze, aus NRW/Köln komme und weiß, dass die Zusammenarbeit zwischen Ländern, Finanzplätzen und Organisationen oft nicht ganz einfach ist.


Plessentin: Die Zusammenarbeit bei Germany Finance funktioniert gut und kollegial. In diesem Jahr liegt die Sprecherrolle in Frankfurt, 2024 bei Fin.Connect.NRW. Als Germany Finance haben wir gemeinsam mit Studien zum Finanzplatz, zum Fintech-Standort, zu Sustainable Finance und im Frühjahr mit der Konsultation zur Attraktivität der Finanzbranche für junge Menschen einiges bewegt. Auch bei Fin.Connect.NRW funktioniert die Zusammenarbeit gut.


Hill: Für die Koordination einer Finanzplatzinitiative sind Erfahrung, übergreifende Expertise und über Jahre gewachsenes Vertrauen unerlässlich. Bei meinen Gesprächen geht es, wie Sie wissen, daher um die Sache und um die Menschen. Sie sind Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums NRW, waren vorher bei der DZ Bank, haben sich mit Unternehmenskrediten und Beteiligungsfinanzierungen, Förder- und Aufsichtsfragen beschäftigt und sind auch Autor zu diesen Fragen. Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen?


Plessentin: Im Wirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen bin ich in der Grundsatzabteilung engagiert, die sich mit Zukunftsfragen befasst. Koordination und Aufbau von Fin.Connect.NRW  sind daher nicht meine einzigen Aufgaben, sondern ich beschäftige mich auch mit den Grundsatzfragen des Kapital- und Finanzmarktes. Dabei hilft mir meine Berufserfahrung bei renommierten Instituten (DZ Bank und KfW nach heutiger Bezeichnung). Darüber hinaus hilft die Erfahrung aus der fachlichen Begleitung bei Spitzengesprächen, in der Leitung von Arbeitskreisen auf Bund-Länder-Ebene, mit den Ressorts bei der Förderbank-Gremienvorbereitung und mit der Wirtschaft. Von Hause aus bin ich Diplom-Betriebswirt und gelte als „Urgestein“ des Finanzplatzes.

Hill: Damit haben wir die Rahmenbedingungen von Fin.Connect.NRW und Ihrer Koordination beleuchtet, die für das Verständnis wesentlich sind. Die bisherigen Erfolge können sich sehen lassen. Für diese ambitionierte Aufgabe werden in einer Scaleup-Phase gleichwohl mehr Ressourcen und mehr Flexibilität benötigt. Nun zum Markenkern. Der Fokus von Fin.Connect.NRW liegt auf der Transformationsfinanzierung. Was heißt das konkret?


Plessentin: Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat den Investitionsbedarf für die klimaneutrale und digitale Transformation allein für NRW auf 70 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt (IW-Gutachten „Transformation in NRW. Wie lässt sich die digitale und klimaneutrale Transformation der Unternehmen in NRW am besten finanzieren?“). Davon entfallen auf die klimaneutrale Transformation 50 Mrd. Euro. Darin enthalten sind sowohl Zusatz- als auch Ersatzinvestitionen. Aus heutiger Sicht sind es eher 80 Mrd. Euro p.a. Der überwiegende Teil wird privat finanziert werden müssen. Die Banken können dies nicht alleine stemmen, auch der Kapitalmarkt muss besser genutzt werden. Die Herausforderung bei der Transformationsfinanzierung besteht oft darin, Kapitalangebot und -nachfrage besser zusammenzubringen. Das IW-Gutachten zeigt Handlungsempfehlungen auf. Die Landesregierung und Ministerin Neubaur haben sich das „Gemeinschaftsprojekt Klimaneutrale Industrieregion“ zum Ziel gesetzt. Nordrhein-Westfalen soll die erste klimaneutrale Industrieregion Europas und Vorreiter auf dem Weg zur Klimaneutralität werden. Mit Fin.Connect.NRW sollen die Kräfte für die Transformation gebündelt werden. Fin.Connect.NRW kann neue Lösungen anstoßen. Der Beitrag von Finanzwirtschaft und Unternehmen auf diesem Zukunftspfad ist von großer Bedeutung.

Hill: In der Tat sind die Herausforderungen gerade jetzt groß. Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und Digitalisierung sind für die Finanzwirtschaft und die Unternehmen entscheidend. Geschäftsmodelle müssen transformiert, Produkte und Prozesse angepasst und ESG-Kriterien stärker berücksichtigt werden. Wie kann Fin.Connect.NRW mit seinen begrenzten Ressourcen dazu beitragen?


Plessentin: In der Startphase von Fin.Connect.NRW war das Gutachten des IW wichtig, das gemeinsam mit den Verbänden der Kreditwirtschaft vergeben wurde und erstmals den Investitions- und Finanzierungsbedarf für die Transformation in NRW quantifiziert hat. Finanzwirtschaft und Unternehmen sind gut beraten, die Chancen der Transformation zu nutzen. Eine Umfrage zeigt, dass größere Unternehmen die Chancen für ihre Wettbewerbsfähigkeit „auf dem Schirm“ haben. Bei kleinen und mittleren Unternehmen besteht häufig Informationsbedarf. Fin.Connect.NRW führt daher lösungsorientiert gemeinsam mit seinen Kooperationspartnern Veranstaltungen durch, um unterschiedliche Akteure übergreifend zusammenzubringen, zu sensibilisieren, praxisnah zu informieren und Wissen zu vermitteln. Dazu dienen auch die Website und der vierteljährlich erscheinende Newsletter. Wir freuen uns, dass diese Angebote gut angenommen werden. In Zukunft wird es darauf ankommen, gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern das Matching weiter zu intensivieren. Ich gehe davon aus, dass die neue Geschäftsstelle, die mit mehr Ressourcen ausgestattet sein wird, einen Lenkungskreis und thematische Arbeitsgruppen einrichten und die Partner einbeziehen wird.


Hill: Sie sind des Öfteren auch in Frankfurt. Was schätzen Sie an Frankfurt?

Plessentin: Frankfurt ist der größte deutsche Bankenplatz und international aufgestellt. Die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen ist gut und ich treffe mich zum Austausch. Und vom Rhein an den Main ist es nur ein „Katzensprung“.

Hill: Zum Schluss eine persönliche Frage: Wie lange werden Sie Fin.Connect.NRW noch koordinieren? Werden Sie Ihre vielseitige Erfahrung und Expertise weiter einbringen?


Plessentin: Meine Dienstzeit im NRW-Wirtschaftsministerium endet am 31. Juli 2023. Daher möchte ich die Gelegenheit nutzen, den Kolleginnen, Kollegen und Kooperationspartnern für das Vertrauen und die konstruktive Zusammenarbeit zu danken. Die Themen machen mir Spaß, das Netzwerk ist ausgeprägt und ich habe Anfragen. Schauen wir mal.

Hill: Große Aufgaben und interessante Perspektiven. Es bleibt spannend. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

H.-Joachim Plessentin hat in vier Jahrzehnten in verschiedenen Funktionen wichtige Impulse und Beiträge zur wirtschaftspolitischen Entwicklung des Landes NRW gegeben und seine Expertise beratend und unterstützend eingebracht. Er koordinierte die Finanzplatzinitiative Fin.Connect.NRW vom 15. Juni 2020  bis zum 31. Juli 2023, war langjähriger Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums NRW sowie zuvor Banker bei der DZ Bank und der KfW (heutige Bezeichnungen), ist Diplom-Betriebswirt und Autor. Das Interview wurde im Juli 2023 geführt.

Links: www.fin-connect-nrw.de

Germany Finance (germany-finance.com)

Studien: IW-Gutachten „Transformation in NRW. Wie kann die digitale und klimaneutrale Transformation in NRW am besten finanziert werden?

Der Finanzplatz Deutschland als Eckstein des europäischen Finanzsystems