FRANKFURT, VERTRIEB IM ASSET MANAGEMENT & KULTUR: Freitags gibt’s was auf die Ohren (INTERVIEW – Oliver S. Bauer, Allianz Global Investors)

Was Musik am Freitag mit Social Selling zu tun hat? So einiges, findet Oliver S. Bauer, Social Selling Program Manager bei Allianz Global Investors in Frankfurt am Main.
Ein Gespräch über Netzwerken 4.0, das Touchpoint-Puzzle, die Frage der Messbarkeit – und natürlich Musik. Aufgezeichnet von Markus Hill, Finanzplatz Frankfurt
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Hill: Sie sind seit Ende der späten 1980er Jahre in der Finanzdienstleistungsindustrie tätig, seit Mitte der 1990er Jahre hatten Sie bei einigen Asset Managern am Finanzplatz Frankfurt verschiedene Positionen im Bereich Produkte und Marketing inne. Was verbindet Sie mit der Stadt Frankfurt und wie kamen Sie zur Finanzdienstleistung?

Bauer: Frankfurt ist tatsächlich meine Geburtsstadt. Zunächst in Rödelheim, dann in Bornheim bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen. Bis Mitte 30 habe ich auch in der Stadt gewohnt.
Mein Vater war zwar kein Banker, gleichwohl war er als Verwaltungschef bei einer Bank tätig. Oftmals arbeitete er auch am Wochenende und ich durfte ab und an mal mit. Sein Arbeitsplatz war bei der ADCA-Bank – nicht ADAC! –; deren Villa in der Lindenstraße 27 strahlte damals große Faszination auf mich aus. Lange Flure, knarrende Holzdielen, große Doppeltüren. Und eine Rohrpost. Der Inbegriff einer traditionellen Bank. Was ich damals nicht wusste, dass das Gebäude eine sehr wechselvolle Geschichte hat… so war es von 1940 bis 1945 Sitz der Gestapo. Das hätte mir wahrscheinlich eher Angst gemacht. Auch meine Mutter war bei einer Bank, „Personal Assistant“ – damals hieß das noch schlicht Sekretärin – des Leiters Handel/Wertpapiere bei der Frankfurter Volksbank. Ich kam also schon früh mit „Bank“ in Berührung. Ab der 6. Klasse war ich Klassenkassenwart, ein Praktikum in der 9. Klasse bei der Volksbank – es war früh klar: „Der Bub geht zur Bank.“

Hill: Und Sie sind Frankfurt – beruflich gesehen – auch immer treu geblieben…

Bauer: Ja, das stimmt. Ich zwar 1991 bis 1993 für die Deutsche Bank knapp 3 Jahre in den damals sogenannten „neuen Bundesländern“, aber stimmt, ansonsten war ich nicht weg. Retrospektiv war das für die Karriere vielleicht nicht unbedingt von Vorteil, aber andererseits: Frankfurt war immer schon ein wunderbarer Ort um Familie, Freunde und den Beruf zu kombinieren. Ich war und bin gerne hier.

Hill: Wenn man in Ihre Vita schaut, findet man Produktentwicklung- und management und Marketing. Alles eher bekannte, traditionelle Job-Bezeichnungen. Aber das was Sie heute machen, klingt dann doch etwas ungewöhnlich. Sie sind „Social Selling Progam Manager“. Wie kam es dazu?

Bauer: Anfang 2015 fragte mich einer meiner Chefs, ob ich Lust hätte, ein Social Selling Projekt als Pilot aufzusetzen… Große Augen und die Frage „Social what?!?“ war meine Reaktion. Ich sagte zu ihm: „Ich bin weder Tekkie noch Digital Native. Ok, ich mag mein iPhone, aber das allein kann mich doch nicht qualifizieren?“ Er erwiderte darauf hin, und nach einer Zeit verstand ich ihn dann doch gut: „Nun, Social Selling ist nicht in erster Linie ein Technologie-Projekt, es geht um Menschen, um Marketing und Vertrieb, um Beziehungsmanagement, um Prozesse, um ein Verständnis für die Industrie, um das große Ganze, aber auch den Blick für Details. Außerdem geht es auch um regulatorische und rechtliche Fragen, man muss Leute begeistern und überzeugen können, es geht um Neugier und einen langen Atem – darum Du!“ So kam ich also dazu und tatsächlich gibt es am Finanzplatz Frankfurt beziehungsweise in unserer Branche noch nicht allzu viele „von uns“. Vielleicht erscheint der Begriff deshalb mitunter noch ein wenig exotisch. Wenngleich wir also vor über 7 Jahren „ahead of the curve“ waren, zwischenzeitlich ist mein Eindruck, dass „wir“ mehr werden!

Hill: Was umfasst dieser Job? Sie kümmern sich um Werbung auf Social Media?

Bauer: Nein, das machen bei uns im Haus andere Kolleg:innen. Ganz ehrlich, die Frage klingt leichter, als sie tatsächlich ist. Vielleicht liegt es am Begriff, der oft etwas in die Irre führt. Denn das was Sie in Ihrer Frage formuliert haben, genau das ist es eben nicht. Social Media Marketing und Social Selling sind tatsächlich zwei Paar Schuhe: Viele hören oder lesen manchmal nur „Social“ – und dann ist es unter „Irgendwas mit Social Media“ abgespeichert. Das ist auch nicht falsch, ja, es geht um die Sozialen Netzwerke. Aber wir reden nicht von Social Media Marketing oder Corporate Communications und es hat auch nicht in allererster Linie mit Content publizieren zu tun! Klar, das gehört dazu, aber es ist nicht der Kern. Und es geht auch nicht um die eigenen Kanäle des Unternehmens, sondern um die einzelner Mitarbeiter:innen.

Hill: Diese Abgrenzung scheint wichtig, verstanden. Also geht es eher um das Netzwerken?

Bauer: Eine Definition geht wie folgt: Social Selling ist eine Strategie, die soziale Medien nutzt, um ein Netzwerk auf- und auszubauen und dieses zu nutzen, Information zu sammeln, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen und zu stärken und Einfluss zu gewinnen, damit eine solide persönliche Marke zu schaffen und letztendlich einen besseren Job zu machen. Das klingt jetzt komplex, aber mal ehrlich, wenn man das auseinandernimmt, ist das nicht etwas, was gute, nachhaltig denkende Leute im Vertrieb schon immer ausgezeichnet hat? Netzwerken? Beziehungsmanagement? Persönlicher Einfluss? Ich finde: Alles, oder sagen wir fast alles, was man im realen Leben machen kann, kann man auch auf oder mit Hilfe von einem sozialen Netzwerk tun. Manchmal noch ein wenig mehr. In jedem Fall sehr effizient und sicher auch ein wenig anders.

„Social Selling?
 Ein Teil des Touchpoint-Puzzles!“

Bauer: Allerdings, das gehört auch zu Wahrheit: Es gibt auch Grenzen und wir müssen Social Selling de-mystifizieren, denn es ist auch nicht der heilige Gral. So löst es viele Dinge nicht ab, zumindest noch nicht, sondern ergänzt sie vielmehr. Man wird sich auch in Zukunft live treffen, bei Meetings, auf Veranstaltungen, zum Mittagessen. Letztlich ist Social Selling ein weiteres Teil im gesamten Touchpoint-Puzzle mit existierenden und potenziellen neuen Kunden. Asset Management ist seit jeher ein „people’s business“ und wird es auf absehbare Zeit in großen Teilen auch bleiben. Allerdings, es wäre naiv, gar töricht zu glauben, dass nun ausgerechnet unsere Branche die einzige sei, in welcher die Digitalisierung auch im B2B Vertrieb sich nicht auswirken würde. Entsprechend muss sich der Vertrieb, gerade im Wholesale-Segment, aber auch im institutionellen Geschäft darauf einstellen. Social Selling kann dabei durchaus als „Job-Retter“ fungieren. Etwas weniger drastisch formuliert: Vertriebsmitarbeiter:innen, die soziale Netzwerke nicht beherrschen, dürften es zukünftig etwas schwerer haben. Übrigens: Es kann auch richtig Spaß machen, wenn man einmal verstanden hat, wie es funktioniert.

Hill: Und Sie sind heute also auch ein Social Seller?

Bauer: Nicht im eigentlichen Sinne. Klar, ich nutze auch viele Komponenten, aber vielmehr „leite“ ich das Programm und betreue, quasi 24/7, aktuell über 160 Kolleginnen und Kollegen in der EMEA Region aus Sales und Marketing, aber auch anderen Bereichen, damit sie LinkedIn in allen Facetten effizient und im Rahmen von Richtlinien oder auch dem Verhaltenskodex nutzen. Das kann mitunter insofern herausfordernd sein, denn ich bin quasi Coach und Motivator einerseits, aber gleichzeitig auch die „Social Media Polizei“. Dabei ist die Teilnahme am Programm – und das ist ganz wichtig – nicht verpflichtend, sondern stets freiwillig. Weiterhin gehört zum Job das Befüllen einer Content Bibliothek mit kuratierten Posts, dies gemeinsam mit Kolleg:innen aus Frankfurt und München, London, Paris, Mailand und Madrid, der Einkauf von geeigneten Software-Tools, das Aufstellen von Richtlinien und es gibt logischerweise sehr viele Schnittstellen zu diversen Marketing-Disziplinen.

Hill: Welche KPIs verwenden Sie denn – wie wird der Erfolg als Unternehmen gemessen?

Bauer: Auf die Frage habe ich fast gewartet – sie ist in gewisser Weise zu einer meiner Lieblingsfragen geworden. Heutzutage muss immer alles gemessen, gewogen und bewertet werden… die Macht der Daten, nicht wahr? Das ergibt in vielen Fällen auch absolut Sinn, gleichwohl ich in unserem B2B Business mehr ein Freund von „Data-Informed“ als von „Data-Driven“ bin. Ich bin felsenfest davon überzeugt: Wenn man anfängt, Social Seller messen zu wollen, nun, das kann ganz schnell in die falsche Richtung abbiegen und dann völlig falsche Anreize setzen. Erlauben Sie mir dazu drei Dinge auszuführen:

Erstens: Wir reden über persönliche, private Profile. Bei Social Selling vermischt sich Berufliches und Privates, das ist unstrittig. Folgerichtig wird klar: ob jemand als Angestellter eines Unternehmens „Social Selling“ betreibt oder nicht, das kann immer nur auf Freiwilligkeit und intrinsischem Interesse basieren. Und persönliche Profile und Aktivitäten und letztlich Mitarbeitende kontrollieren und messen, das kann man nicht mal einfach so machen. Dazu braucht es klare Regeln und Grenzen, 100 Prozent Transparenz und daraus folgt, dass ein Social Selling Program durchaus eine gewisse Sensibilität erfordert. Aber wer mitmacht, der profitiert natürlich auch für seine ganz eigene, persönliche Marke. Wir reden also tatsächlich klassisch von win-win.

Zweitens: Ich bin fest überzeugt: Relationshipmanagement bzw. die Güte von Beziehungen lassen sich von außen nicht wirklich messen. Oftmals sind nicht die besten Freunde die, mit denen man freitags um die Häuser zieht, sondern vielleicht jemand in einem anderen Land, der aber in 24h bei mir wäre, wenn ich ihn brauche. Anders formuliert: Die wirklich wichtigen Dinge passieren „unter der Haube“ und wären für das Unternehmen als Organisation nur sehr bedingt messbar.  

Hill: … und Drittens?

Bauer: Drittens: Aus Unternehmenssicht ist es mir (theoretisch) fast egal, ob ein Vertriebler oder eine Kundenbetreuerin das Telefonbuch abtelefoniert, jede Woche eine andere Fachmesse oder -konferenz besucht, jeden Tag einen Business-Lunch hat oder 24/7 auf LinkedIn unterwegs ist. Es ist wie beim Fußball: „Entscheidend is‘ auf‘m Platz!“. Allerdings: Als Unternehmen sollte man vorausschauend agieren und aktiv dafür Sorge tragen, dass die Vertriebsorganisation modern und dynamisch ist, die richtigen Arbeitsmittel an der Hand hat. Das ist am Ende des Tages ein Wettbewerbsvorteil. Oder eben Nachteil, wenn man es ignoriert.

„Ignorieren?
 Ist fahrlässig!“

Die Generation Z beispielsweise „tickt“, wie jede neue Generation ganz anders und beeinflusst auch die Älteren. Nicht zuletzt deshalb ist das Ignorieren der Möglichkeiten sozialer Netzwerke fast als fahrlässig zu bezeichnen. Es ist auch ein Investment in die Zukunft eines Unternehmens.

Hill: Also keine Ziele?

Bauer: Nein, damit wir uns hier nicht falsch verstehen. Jeder einzelne Social Seller sollte sich Aufgaben und damit auch Ziele setzen, also Unterziele, deren Erreichung für die Gesamtziele hilfreich sind, also eine klassische Zielpyramide. Für den einen ist es der Ausbau des Netzwerks um aktuelle und zukünftige Entscheider oder sonstige relevanten Mitglieder. Für einen ist das nur Research und das Finden neuer Leads. Für andere das Publizieren und Kommentieren jeden Tag. Kommentieren kann übrigens, das sei an dieser Stelle gesagt, die viel schärfere Waffe sein. Und ich empfehle, auch vor dem Hintergrund des Algorithmus, pro eigenem Post 5-10x Posts von anderen Nutzern zu kommentieren. Es gibt da kein Schwarz und Weiß, sondern viele Grauschattierungen und verschiedenste Strategien. Und ja, da kann und sollte man dann auch quantitative Ziele formulieren: Wie viele neue Entscheider habe ich gefunden? Wie vielen Leuten habe ich einen Gefallen getan? Wie viele gute Gespräche hatte ich diese Woche? Bei solchen Planungen und Überlegungen versuche ich zu helfen, mit jedem Einzelnen ein individuelles Profil aufzusetzen und dann individuelle Agenden zu entwickeln, Schwerpunkte zu bilden, die zur eigenen Persönlichkeit, zur Zielgruppe, zum Markt und den grundsätzlichen Vertriebszielen passen. Und machen wir uns nichts vor: Der Erfolg von Vertrieb wird – neben Kennziffern zu Kundenzufriedenheit oder besser Kundenloyalität – à la longue vor allem in GuV-relevanten Kennziffern gemessen und Social Selling darf nie Selbstzweck sein.

Oliver S. Bauer

Hill: Ist Social Selling eigentlich nur für Sales?

Bauer: Nun, wir reden ja vor allem über LinkedIn, eine Business Plattform. In meinem Profil trete ich nicht als „Oliver S. Bauer, Eintracht-Fan“ auf, sondern als „Oliver S. Bauer, Social Selling Program Manager bei Allianz Global Investors“, also als Angestellter einer Firma in einer gewissen Rolle. Das heißt übrigens nicht, dass ich nicht auch mal Fußball-Posts mache oder mit entsprechendem Content interagiere – zumal das heute mehr denn je ein Business ist. Aber was ich sagen will: Jeder wird – ob gewollt oder ungewollt – zunächst einmal zu einem Brand-Ambassador oder Marken-Repräsentant, denn die Güte eines Profils und alle Aktivitäten übertragen sich auf das Unternehmen, mal mehr, mal weniger. Und damit geht natürlich ein hohes Maß an Verantwortung einher, etwas, dass manche mitunter vergessen. Doch zurück zur Frage: Obwohl also jeder eine Marke, die eigene sowieso aber auch die des Unternehmens repräsentiert, so ist man nicht direkt ein Social Seller. Aber jeder kann grundsätzlich einer werden. Man könnte dann je nach Rolle indes eher von einem Corporate Influencer sprechen.

Hill: Jetzt wird’s kompliziert…

Bauer: Nein, gar nicht. Um sich der Frage zu nähern, muss man vielleicht die Belegschaft eines Unternehmens in verschiedenen Gruppen unterteilen: Da gibt die offiziellen Spokespersons, also die CXOs, oder auch die Geschäftsführenden. Hinzuzählen kann man zu dieser Gruppe im weiteren Sinne auch „Gallionsfiguren“ für bestimmte Themen oder z.B. Chef-Ökonomen:innen, die das Publikum mitunter auch schon aus anderen Medien kennt. Die zweite Gruppe ist quasi der verlängerte Arm der ersten Gruppe: Die Ansprechpartner für die Presse und die Medien. Diese sind nicht immer, aber doch oft auch selbst sehr aktiv auf den Sozialen Medien, im Namen der Firma, aber auch privat. Die dritte Gruppe wiederum, das sind die Kolleginnen und Mitarbeiter in Vertrieb, Marketing und ggf. Kundenservice – also die Gruppe, für die Social Selling mal „erfunden“ wurde. Diese Gruppe lässt sich nun mit zunehmender Relevanz um zwei weitere Kategorien ergänzen: zum einen um Spezialisten verschiedenster Funktionen und „Content Creators“ für bestimmte Themen, mal mit oder ohne client-facing –Funktion, zum anderen Kolleginnen und Kollegen, die schlicht „etwas zu sagen haben“ und Freude an Social Media empfinden.

„Bloß keine Kakofonie der Stimmen!“

Bauer: Wie schon kurz angedeutet, kann man in der Tat trefflich darüber streiten, ab wann man nun Social Seller ist oder aber ein sogenannter „Corporate Influencer“, aktuell so ein wenig das Modewort in der Social Media Szene. Die Grenzen sind da mitunter fließend, wenngleich natürlich die direkte Vertriebsverantwortung meist die Trennlinie markiert. So oder so, wichtig ist, dass das Ganze in einem Unternehmen organisiert abläuft. Andernfalls resultiert es in einer Kakofonie der Stimmen und im schlimmsten Fall kann es negativ auf die Markenreputation wirken. Wenn wir also über den Teilaspekt des Publizierens innerhalb von Social Selling reden, zur Erinnerung, es umfasst ja noch so viel mehr, so ist es elementar, dies in der Content Strategie beziehungsweise in der Distributionsstrategie für eben jenen Content zu beschreiben und darin als unverzichtbaren Bestandteil zu implementieren. Smart & clever gemacht, ist es ein effizientes und kostengünstiges Element im Marketing- und Kommunikations-Mix. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen anderen wichtigen Aspekt nicht unerwähnt lassen: Gerade bei Finanzdienstleistungen und Asset Management kommt der erwähnten Steuerung – und ich sage bewusst auch dem Monitoring – eine besondere Bedeutung zu. Wir sind eine hoch regulierte Branche und damit ist klar, es braucht einzuhaltende Rahmenbedingungen, ich hatte das vorhin schon kurz angerissen.

Hill: Monitoring?! Sie überwachen also Ihre Kolleg:innen – das klingt nach Stalker?

Bauer: Nein, das wäre grotesk. Dazu habe ich weder Zeit noch Lust, abgesehen davon wäre es auch völlig uninteressant. Und es würde dem Ganzen nicht gerecht. Ich formuliere es immer so: „Ich bin die ‚Erste Verteidigungslinie im Auftrag von Compliance‘”, das heißt, ich schaue den Social Sellern über die Schulter. Technologiegestützt schaue ich mir selektiv Posts an, und sollte einer der seltenen Fälle vorkommen, dass es nicht mit unseren Richtlinien oder eben regulatorischen Vorgaben übereinstimmt, dann nehme ich Kontakt auf und wir reden darüber. Dabei sind die Kolleginnen und Kollegen eher dankbar und glücklich, dass man sie nicht allein lässt und jemand an ihrer Seite ist. Denn das passiert ja nicht absichtlich, sondern tatsächlich unbewusst.

Hill: Nochmal zurück zu der Gruppe der Social Seller. Ist das dann nicht auch etwas für Fondsmanager:innen? Die haben meistens was zu sagen und könnten Content erstellen und wenn sie denn Spaß daran haben, wäre das doch der „perfect fit“.

Bauer: Eine berechtigte Frage. Vordergründig scheint genau das auf der Hand zu liegen, zumal professionelle Kunden immer gern den direkten Draht und Kontakt zu dieser Personengruppe haben wollen. Aber genau das ist mitunter nicht unproblematisch. Fondsmanager haben seit jeher einen Spagat zu vollbringen. Erstens: Sie haben Fonds zu managen, möglichst erfolgreich. Zweitens: Sie sind dadurch die wichtigsten Personen für die interessierte (Fach-)Öffentlichkeit. Solange alles gut ist mit der Wertentwicklung, prima. Das kann sich aber auch mal drehen und deswegen bin ich bei Portfoliomanagern – wenn es um das Thema „Publizieren“ geht – tatsächlich sehr zurückhaltend. Allerdings sind – wir hatten das schon erwähnt – die Möglichkeiten der sozialen Medien sehr vielfältig: Fondsmanager bauen sich ihre Experten-Netzwerke aus Industrie und Wissenschaft auf, tauschen sich aus, ja, sie kommen sogar aus ihrem Silo frei und mitunter auf völlig neue Ideen und Inspirationen. Während also Fondsmanager beim Content erstellen bzw. häufigem Publizieren meiner Überzeugung nach eher sehr selektiv und defensiv agieren sollten, so verhält es sich anders, wenn ich an Researcher oder Produktspezialisten denke, die ja so eine Zwischenrolle einnehmen. Einerseits sind sie tief im Portfoliomanagement verankert, andererseits haben sie in der Regel auch ein sehr gutes Gespür und einen Draht für beziehungsweise zu Vertriebspartnern und Institutionellen. Gerade im Zusammenspiel mit den klassischen Kolleg:innen aus Sales, kann sich dadurch auch auf sozialen Netzwerken ein kongeniales Team entwickeln.

Hill: Sie selbst posten auf LinkedIn regelmäßig am Freitagnachmittag unter dem Hashtag #FridayNightListeners, Posts, die ich auch seit einigen Monaten gerne verfolge. Was hat es damit auf sich? Zumal, das hat mit Business Content ja nichts zu tun, oder?

Bauer: Ach, ist eigentlich keine große Sache, aber danke fürs Erwähnen. Seit Herbst 2019 publiziere ich jeden Freitag um 17 Uhr diese Posts und sie fangen immer mit „Dear #FridayNightListeners“ an. Im Kern basiert der Post auf einem Song – oftmals aus den 80er – und ich schreibe etwas dazu. Dabei geht es jedoch selten um das Lied an sich, ich mache hier keine Musikbesprechung. Der Songtitel oder der/die Künstler:innen dienen vielmehr als Rahmen für das eigentliche Thema der Woche. Mitunter sind es persönliche Anekdoten, meist geht es um aktuelle gesellschaftliche oder wirtschaftliche Ereignisse und Entwicklungen in Deutschland oder der Welt; mal um Sport, aber es geht auch um Marketing und Soziale Medien. Im weiteren Sinne ist das dann alles sehr wohl Business, indirekt und oft auch außerhalb meiner eigenen Bubble. Es geht über Themen, zu denen ich meine Gedanken beisteuern möchte, die mal zum Nachdenken anregen, manchmal auch nur unterhalten sollen. Und ganz ehrlich: Niemand will stets nur hochglanzpolierten Unternehmens-Content sehen. Es gibt einen Grund, warum es „Social Network“ heißt. Und mitunter gehört auch Katzen-Content auf LinkedIn, aber das würde nochmal ein zweites Interview füllen.

Hill: Sie sind selbst auch musikalisch?

Bauer: Ehrlich? Kein Stück! Da bin ich eine Null! Ich bin reiner Konsument. Und zwar ähnlich wie beim Wein: Da gibt’s bei mir nur: „Schmeckt mir“ oder „Schmeckt mir nicht“. Ich war aber mal vor 20, 30 Jahren ziemlich fit was Hifi-Anlagen betrifft… Wozu mir folgender Vergleich einfällt: Die Diskussion, die es damals unter uns Freaks gab, die gibt’s heute wieder bei digitalen Marketing-Tools. Damals war die Frage: Ein System – oder jeweils die „beste Marke“ pro Gerätekategorie – und das gilt es nun heute entsprechend zu beantworten. Entscheidend ist dabei: Wie wichtig ist eigentlich – perspektivisch – das Zusammenspiel? Nur in Theorie oder tatsächlich? Am Ende kommt es ohnehin vor allem auf die Lautsprecher an, die 50 Prozent des Budgets einer Anlage ausmachen sollten. Übersetzt: Du kannst die besten Tools und das beste System auswählen, den besten Content produzieren, wenn Deine Kommunikation eben nicht zeitgemäß ist, verlierst Du an Effekt, an Klarheit, an Brillanz.

Hill: Was war denn bisher der erfolgreichste Post?

Bauer: Ach, darum geht’s gar nicht. Was ist Erfolg? Maximale Reichweite? Falscher KPI! Gestartet ist es als Experiment, doch nach nun rund 150 Beiträgen hat sich mittlerweile eine treue Community entwickelt, die sich tatsächlich regelmäßig freut, mal mehr, mal weniger interagiert. Nicht immer spielt sich alles im offenen Raum ab, oft erreichen mich auch private Nachrichten zu einem Post.

„Nicht möglichst viele erreichen,
sondern ‚die Richtigen‘!“

Aber machen wir uns nichts vor: Freitag, 17 Uhr, das ist grundsätzlich nicht die beste Zeit, um längere Posts mit rund 3.000 Zeichen zu publizieren. Aber es geht eben – wie bei Social Selling auch – nicht darum, möglichst viele zu erreichen, sondern „die Richtigen“ mit dem richtigen Content. Im Grunde ist ja jeder Social Seller auch ein kleiner Community Manager. Ein Vergleich mit dem Fischfang drängt sich auf: Große Schleppnetze auszuwerfen und am nächsten Morgen mit viel Beifang in den Hafen einzulaufen, das wäre kein gutes Sinnbild für Social Selling. „Gezieltes Fischen“ entspricht viel eher einer nachhaltigen Social Selling Philosophie.
Abgesehen von der Begleiterscheinung, dass ich mit der Serie etwas „spielen“ und ausprobieren kann, nun, ich „muss“ jede Woche Content kreieren, das diszipliniert und zudem trainiere ich – hoffentlich – meine englischen Writing Skills.

Was mich antreibt, ich bereite – hoffentlich – anderen Menschen eine kleine Freude. Als der Krieg ausbrach, fand ich einen solchen Musik-Post danach unpassend und setzte aus. Doch dann motivierten mich einige und schrieben: „Mach weiter, es ist wichtig.“ So ein Feedback bedeutet mir mehr als viele Likes. Für viele ist die Serie mittlerweile einfach das Signal am Freitag: Das Wochenende und der Feierabend ist (fast) da!

Hill: Ein gutes Stichwort – Feierabend machen wir jetzt auch! Vielen Dank, Herr Bauer! Und wie Sie mir verraten haben, tauschen Sie sich gern über Marketing-Themen und Social Selling aus. Wer mag, kann Sie also gern auf LinkedIn kontaktieren. Ach so, eine Frage noch: Was steht denn diesen Freitag auf der Playlist?

Bauer: Ja, ich freue mich tatsächlich immer über neue interessante Kontakte und den Austausch. Und zur Frage: Wird nicht verraten! Aber „Nomen est omen“ als Stichwort… und es hat was mit unserer Stadt zu tun, dem „Sound of Frankfurt“. Stay tuned!


Das LinkedIn-Profil von Herr Bauer erreichen Sie über diesen Link: https://www.linkedin.com/in/oliversbauer/

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